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Leo Kardinal Scheffczyk: Weihnachten – Das Geheimnis der übergroßen Liebe Gottes

Leo Kardinal Scheffczyk: Weihnachten – Das Geheimnis der übergroßen Liebe Gottes

Leo Kardinal Scheffczyk über das Wesen und den Kern des Weihnachtsfestes

23.12.2022 aktuelles
Im Advent 2004 gab Kardinal Leo Scheffczyk (1920-2005) KIRCHE IN NOT ein auch heute noch viel beachtetes Interview über die Verflachung und Verfälschung des Weihnachtsfestes, die Einzigartigkeit des Christentums unter den Religionen und darüber, wie man Weihnachten heute neu erleben kann.

Papst Benedikt XVI., der Leo Scheffczyk aus der gemeinsamen Zeit in Freising kannte, nannte ihn einmal einen „herausragenden Prediger und verheißungsvollen Theologen“.

Wir dokumentieren das Interview zum 15. Todestag des am 8. Dezember 2005 verstorbenen Kardinals. Das Gespräch führte Michael Ragg.

Leo Kardinal Scheffczyk (1920-2005). © Leo-Scheffczyk-Zentrum Bregenz
MICHAEL RAGG: Herr Kardinal, häufig kann man in der Vorweihnachtszeit hören und lesen, Weihnachten sei gar kein christliches Fest, das Weihnachtsfest sei viel älter als das Christentum, da habe man eben die Wintersonnenwende oder irgendeinen Sonnengott gefeiert und die Kirche habe dieses Fest einfach übernommen. Was unterscheidet das christliche Weihnachtsfest von seinen heidnischen Vorläufern?

KARDINAL LEO SCHEFFCZYK: Nun, wir wissen, dass das christliche Weihnachtsfest im vierten Jahrhundert in Rom in die abendländische Kirche eingeführt und auf den 25. Dezember festgelegt wurde. Dabei spielte die alte heidnische Festfeier des Sonnengottes schon eine Rolle, die als Tag des wachsenden Lichtes begangen wurde. In dem Bestreben, gegen das heidnische Brauchtum ein Gegenstück zu setzen, wurde das Erinnerungsfest an die Geburt Jesu auf diesen Tag gelegt. Dabei wurde dem heidnischen Sonnengott die biblische Bezeichnung Jesu Christi als Sonne der Gerechtigkeit entgegengestellt.

 

Daran lässt sich ersehen, dass sich der Inhalt des christlichen Festes gegenüber dem heidnischen gänzlich neu bestimmt und wesentlich neu gefasst war. Dort im Heidentum wurde ein immer wiederkehrendes Naturgeschehen gefeiert, hier im christlichen Bereich eine einmalige geschichtliche Gottestat. Die Unterschiede sind also unübersehbar und nicht aufeinander zurückzuführen.

Koptische Ikone mit der Darstellung der Krippenszene.
Heute steht also im Zentrum von Weihnachten Jesus Christus. Wenn jetzt aber ein außerirdischer Besucher käme, und er würde mal einen Nachmittag lang durch eine unserer Großstädte bummeln, dann müsste er zu dem Schluss kommen, an Weihnachten gehe es um einen dicken Mann mit weißem Bart und rotem Mantel, den man Weihnachtsmann nennt. Was hat dieser Weihnachtsmann mit Weihnachten zu tun?
Das angeführte Beispiel beweist die Verflachung und Verfälschung einer christlichen Wahrheit zu einer billigen Belustigungsfigur für Kinder in einer kommerzialisierten Gesellschaft. Die Vorstellung vom Weihnachtsmann leuchtet das erste Mal schon im
18. Jahrhundert auf. Sie sollte die Gestalt des Christkindes als Geschenkgeber und Gabenspender ersetzen. An diesem Detail vom Wandel des Christkindes zum Weihnachtsmann lässt sich etwas von dem vorsichgehenden dramatisch religiös-kulturellen Verweltlichungsprozess erkennen, bei dem christliche in weltliche Vorstellungen umgeprägt und damit zugleich auch belanglos und irgendwie banal werden. Für den Christen wird daran anlässlich des Weihnachtsfestes die große Aufgabe deutlich, diesen Prozess nicht als unabwendbar hinzunehmen, sondern ihm die christliche Tradition entgegenzusetzen, und sei es auch nur im Kreis der Familie und der Kinder, die eben nicht dem Weihnachtsmann, sondern Christus oder dem Christkind begegnen wollen.

 

Es gibt noch immer viele Menschen, die doch ahnen, dass Weihnachten eine religiöse Bedeutung hat. Das merkt man daran, dass an Weihnachten die Kirchen voll sind und der Besuch der Weihnachtsgottesdienste sogar noch zunimmt. Wer in die Kirche geht, hört dann die Weihnachtsgeschichte von Jesus im Stall von Bethlehem. Was ist eigentlich dran an dieser „Geschichte“?
Die an Weihnachten gefüllten Gotteshäuser sind ein Beweis dafür, dass die Weihnachtsbotschaft den Menschen noch etwas zu sagen hat, auch wenn sie sich nicht immer von ihrem inneren Kern anrühren lassen. Der Kern aber ist ein geschichtliches Ereignis, von dem in natürlicher Weise berichtet oder erzählt werden muss. Dabei ist es nicht zu umgehen, dass sich ein solcher Bericht in menschliche Darstellungs- und Ausdrucksformen kleidet, dass er in Form einer anschaulichen Geschichte erzählt und eben als Erzählung dargeboten wird. Nur erhebt diese Geschichte den Anspruch, nicht eine phantasiereiche Poesie oder Legende zu sein, sondern wirklich Geschehenes wiederzugeben, so dass wir sagen, es ist nicht eine Geschichte, sondern es ist die Geschichte der Geburt des Erlösers, des Christusereignisses, in der schlichten Form einer allgemeinverständlichen gläubigen Erzählung gehalten, die zugleich auch das Glaubensgeheimnis verkünden will.

Kardinal Leo Scheffczyk und Papst Benedikt XVI. 2005. © Leo-Scheffczyk-Zentrum Bregenz
Maria ist ein Pfeiler des Weihnachtsgeheimnisses

In der Weihnachtsgeschichte wird uns gesagt, dass dieser Jesus von einer Jungfrau geboren worden sei. Ist das nur ein Symbol für das Besondere an diesem Geschehen, wie das heute manche Theologen meinen, oder darf man das wörtlich nehmen?
Der Glaube der Kirche versteht die Jungfrauengeburt tatsächlich realistisch und in diesem Sinne wörtlich. Die geistgewirkte jungfräuliche Empfängnis Marias ist sogar einer der Pfeiler des Weihnachtsgeheimnisses. Bei einer Erzeugung Jesu durch Maria und Josef hätte die Christenheit kaum Grund zur Annahme eines Weihnachtswunders kommen können. Es wäre also als ein ganz natürliches Geschehen angesehen worden, bei dem dann das Neuartige, das Gnadenhafte und Göttliche dieser Gottestat nicht mehr hätte zum Vorschein kommen können. In der Jungfrauengeburt geschah eben das, was der Evangelist Johannes andeutet: dass nämlich diese Geburt nicht aus dem Blute, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geschah.

Das war wirklich eine ganz besondere Geburt, denn da ist jemand geboren, der laut Bibel von sich selbst sagt, er sei „der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Nun wird Weihnachten ja auch als „Fest des Friedens“ bezeichnet und ein solcher Anspruch, wie ihn das Christentum erhebt, scheint ja geradezu in einen Kampf der Kulturen zu führen, wie ihn der islamische Fundamentalismus betreibt. Muss man heute diesen Anspruch Jesu Christi relativieren?
Mit Ihrem Hinweis bestätigen Sie, dass es sich bei der Geburt des Sohnes Gottes in der Menschheit um etwas Einzigartiges handelt, um ein abgrundtiefes Geheimnis, das den reinen Verstandesmenschen gewaltig herausfordert. Dieses Ereignis begründet auch die Einzigartigkeit des Christentums unter den Religionen. Daraus ergeben sich für das Christentum auch praktische Folgerungen, wie etwa die Verpflichtung zur Missionierung und Ausbreitung dieser einzigartigen Botschaft Christi, was dann von den Gegnern des Christentums gleich als Verletzung des Toleranzgedankens angesehen wird. Aber das Festhalten an der Gottheit Christi und der Einzigartigkeit des Christentums besagt nicht einen Anruf zum Kampf gegen die Religionen und Kulturen, sondern gerade im Namen des Gottes der Liebe und des Friedens einen Appell zum Verstehen der anderen Religionen und ihrer Anhänger. Das ist die recht verstandene Toleranz, die nicht aus Gleichgütigkeit gegenüber der Wahrheit erwächst, sondern aus der Anerkennung der Freiheit des Andersdenkenden. Sie hindert nicht die Verkündigung und Verbreitung der eigenen Wahrheit in der Mission und der Neuevangelisierung.

Weihnachtskarten von KIRCHE IN NOT.
Die katholische Kirche nennt Maria die „Mutter Gottes“. Oft wird der Vorwurf laut, dadurch würde Maria zur Göttin gemacht. Was bedeutet dieser Titel?
Gegen diesen Titel hat man in alter wie in neuer Zeit den Einwand erhoben, dass er etwas Unmögliches behaupte. Denn, so sagt man, Gott kann nicht geboren werden. Aber das behauptet dieser Titel tatsächlich nicht. Er besagt vielmehr, dass der menschgewordene Sohn Gottes, weil in ihm die Einheit von Gottheit und Menschheit geschlossen und gegeben war, von einer menschlichen Mutter geboren wurde. Diese konnte dann, weil diese Einheit von Gott und Mensch in der Person gegeben war, auch wirklich als Gottesmutter bezeichnet werden. So ist der Titel Gottesmutter für Maria eine wichtige Stütze und eine neuerliche Bekräftigung des Geheimnisses der gott-menschlichen Einheit in Christus und auch eine Hilfe zur Erklärung des Weihnachtsgeheimnisses.

 

Der Heilige Josef – ein vorbildlicher Helfer

Bei der Geburt Jesu war auch der Mann Marias, Josef, dabei, dem wir oft keine so große Aufmerksamkeit schenken. Worin lag denn seine Aufgabe in dem ganzen Geschehen und worin liegt seine Bedeutung für uns heute?
In der gesamten Geburts- und Kindheitsgeschichte spielt auch der gesetzliche Ehemann Marias und der gesetzliche Vater Jesu, der heilige Josef, eine wichtige Rolle – sowohl in der Darstellung des Evangelisten Matthäus wie auch in der des Lukas. Freilich gehört der heilige Josef nicht in die Ordnung des inneren geheimnisvollen Vollzugs des Weihnachtsgeschehens zwischen Christus, dem Heiligen Geist und Maria hinein, sondern mehr in den Bereich der äußeren, irdisch menschlichen und geschichtlichen Vorbereitung dieses inneren Geheimnisses. Aber zur Verwirklichung eines göttlichen Geheimnisses der Geschichte gehört eben auch all das hinzu, was an menschlicher Zubereitung, an Mithilfe und Grundlegung notwendig war. Darüber hinaus kommt dem heiligen Josef auch eine heilsgeschichtliche Bedeutung zu, wenn man etwa bedenkt, das er es war, der den Namen Jesus in die Einwohnerliste des Römischen Reiches eintrug und ihm damit seinen Platz in der Weltgeschichte zuwies. In all dem erweist sich Josef auch als der erste männliche Christusgläubige, der sein ganzes Leben in den Dienst des Weihnachtsgeheimnisses stellte. So bleibt er der vorbildliche Helfer zur Verwirklichung des Weihnachtsgeheimnisses und der Weggeleiter in dieses Geheimnis hinein.

Am 21. Februar 2001 wurde Leo Scheffczyk von Papst Johannes Pail II. in den Kardinalsrang erhoben. © Leo-Scheffczyk-Zentrum Bregenz
Zurück zu Jesus selbst. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass hier ein Gott, wie das Christentum es verkündet, als ein schwaches Baby in einem ärmlichen Stall zur Welt kommt. Das ist ja ohne wirkliches Vorbild. Wie geht das zusammen?
Das Weihnachtsgeheimnis ist zuletzt ein Geheimnis der übergroßen Liebe Gottes, wie es der heilige Paulus im Titusbrief ausdrückt, wenn er sagt: „Erschienen ist die Güte und Menschenliebe Gottes.“ Dabei steht im Hintergrund das Bewusstsein von der unvergleichlichen Größe Gottes und von der Geringheit, von der Armut, geradezu von der Nichtigkeit des menschlichen Geschöpfes. Aber Gott hat diese unendliche Differenz nicht gescheut. Er wollte und konnte diese Distanz kraft seiner Menschenliebe, die er schon in der Schöpfung und in der Begnadung bewies, überwinden. Dabei wollte Gott das Menschliche gleichsam an seinem tiefsten Punkt ergreifen, nämlich in der Schwäche und Bedürftigkeit eines Kindes. Vor allem der Bericht des Matthäus zeigt eine deutliche Neigung zum Armen, zum Bedrängten, zum Gefährdeten, dem Jesus vor allem verpflichtet sein wollte. Damit aber hat der Herr zugleich dem Armsein und Kindsein eine einzigartige Würde und Bedeutsamkeit zuerkannt, die wir heute, im Zeitalter der Zivilisation des Todes, als ernste Mahnung verstehen sollten.

 

Einheit von Barmherzigkeit und Opfer

In der christlichen Verkündigung ist ja gerade in den letzten Jahrzehnten die Rede vom „barmherzigen“ Gott immer stärker herausgestellt worden. Was heißt das eigentlich?
Die im Weihnachtswunder auftretende Liebe Gottes lässt sich in ihrer Eigenart noch genauer als göttliche „Barmherzigkeit“ bestimmen, welche speziell die Liebe Gottes gegenüber dem schwach Gewordenen, dem gefallenen Geschöpf, dem hilfsbedürftigen Menschen besagt. Es ist zutiefst die Liebe Gottes zu den Sündern, zu denen, die sich in der Sünde gegen die Hoheit und Hochheiligkeit Gottes verfehlt und sich dem Anruf Gottes versagt haben. Das aber war die Gesamtsituation der in Adam gefallen Menschheit vor der Ankunft des Versöhners und des Erlösers. Es ist bezeichnend, dass in der Kindheitsgeschichte des Lukasevangeliums mehrere Male vom Erbarmen Gottes die Rede ist. Seinen höchsten Ausdruck findet dieses Erbarmen im Gleichnis vom verlorenen Sohn, das eigentlich das Gleichnis der grenzenlosen, unerschöpflichen Sünderliebe darstellt. Sie hat im Weihnachtsereignis ihre Quelle. Sie fließt von diesem Punkt in das ganze Leben, in die Geschichte der ganzen Menschheit hinein.

Die Ikone „Selige Jungfrau Maria, Schmerzensmutter und Trösterin der Syrer“ wurde von KIRCHE IN NOT auf eine „Pilgerreise“ durch Syrien geschickt. Innige Marienverehrung war ein Wesensmerkmal, das Leo Scheffczyk und Pater Werenfried verband.
Jesus, so verkündet es die Kirche, ist in die Welt gekommen, um uns Menschen zu „erlösen“. Aber man weiß ja heute gar nicht mehr, wovon …
Im Weihnachtsereignis erscheint Christus tatsächlich als der Retter, der Heiland, der Erlöser der Welt. Die Erlösung aber ist im Wesen und im Kern, wie das Wort schon sagt, eine Herauslösung vor allem aus der Sünde, aus dem ewigen Tod und aus der Gewalt des Bösen, auch des Bösen in Person, des Teufels. Sie ist aber zugleich auch eine Einigung des Menschen mit Gott, mit seiner Heiligkeit und mit dem göttlichen Leben der Gnade, für die wir eins werden mit Gott. Heute zeigt man allerdings für den Begriff der Erlösung, vor allem durch das Kreuz, keine große Vorliebe – wegen seiner Nähe zum Opfer und zur Sühne. Man greift deshalb lieber zu dem Begriff der Befreiung, der sich auch auf die irdischen Nöte und Bedrängnisse des Menschen ausdehnen lässt. Man sagt dann mit Betonung, Gott habe in der Erlösung den Menschen aus gänzlich freier Liebe vom tiefsten Elend befreit. Aber auch dann muss man erklären, warum die Befreiung gerade auf dem Weg des Kreuzes vor sich ging. Die Weihnachtsberichte deuten an, dass die freiwillige Hingabe an den Vater am Kreuz der Ausdruck der vollkommenen, der selbstlosesten Liebe ist. Eine größere Liebe aber hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde, erklärt uns der heilige Johannes.

 

Abglanz des Christuslichtes

In unserer Kultur steht im Weihnachtsfest nicht die Erlösung im Vordergrund. Vielmehr gilt es als das Fest der Geschenke. Passt denn, Herr Kardinal, aus kirchlicher Sicht das Schenken zum Weihnachtsfest?
Wenn man vom Kern des Weihnachtsfestes ausgeht, als der Offenbarung der Liebe Gottes in radikaler Hingabe an die menschliche Gebrechlichkeit und Armut, dann darf man das Weihnachtsgeschehen im Ganzen als ein Geschenk Gottes an die Menschheit betrachten. Das Kind in der Krippe ist die Gnade und Gabe Gottes in Person, durch sich der Mensch unermesslich beschenkt weiß. Dieses Wissen löst im Menschen natürlicherweise einen Impuls aus, von diesem Beschenktsein auch anderen mitzuteilen. Darum ist der Brauch des Schenkens und Sich-Beschenkens, das sich in neuerer Zeit gebildet hat, durchaus sinnvoll. Dieses Schenken ist ein Reflex unseres Beschenktseins durch Christus. Es ist ein Abglanz des Christuslichtes der Weihnacht. Von diesem Sinn und diesem Geist müsste auch unser Schenken beseelt sein.

Glaubens-Kompass aus der gleichnamigen Faltblattreihe von KIRCHE IN NOT.
Wenn wir diesen Sinn des Schenkens erkannt haben, was und wie sollen wir schenken, um ihm gerecht zu werden?
Bei Christen müsste das Schenken vom Geist des Christuskindes erfüllt und bestimmt sein. Diesem Geist liegt nun einmal jeder Prunk und jeder übertriebene Aufwand fern. Es liegt ihm aber die Hinwendung zu den Armen und die Abhilfe der Not der Armen nahe. In einer Kultur des weihnachtlichen Schenkens sollte deshalb das Schenken nicht nur als Geste der Hinwendung zu den Nächsten, zu den verwandten Menschen verstanden werden, sondern immer auch als Opfer für die Armen, für die Notleidenden angesehen und aufgenommen werden.

 

Weihnachten heißt auch das Fest der Familie. Gerade Menschen ohne Familie leiden häufig in den Weihnachtstagen ganz besonders. Kann man denn Weihnachten nur als Familienfest begehen?
Weihnachten ist vom Ursprung her eben in die Familien eingesenkt und um die Familie zentriert. An der Geburt Jesu in einer Familie geht uns auf, dass die Familie der Ursprung des natürlichen, aber in gewisser Weise auch des übernatürlichen Lebens ist. Deshalb ist die Familie auch der angemessenste Raum für die Feier des Weihnachtsfestes. Wem allerdings dieser Raum versagt bleibt, der muss sich leiblich oder auch geistig einer Gemeinschaft anschließen. Und wer gänzlich einsam bleibt, sei es aus äußerer Notwendigkeit oder aus höherer Fügung, der sollte sich bewusst in die Zurückgezogenheit und Einsamkeit der Krippe von Bethlehem versenken. In der Angleichung an die Zurückgezogenheit der Heiligen Familie im Stall von Bethlehem und an die Armut Jesu kann ihm das Licht der Weihnacht wie am Gegensatz ebenso hell aufgehen. Und in einer bestimmte Weise wird er im Hinblick auf die Krippe immer auch Gemeinschaft empfinden und Gemeinschaft erleben.

- Leo Kardinal Scheffczyk (1920-2005)
Jesus Christus ist geboren, um uns Menschen zu retten, haben Sie gesagt. Aber was bedeutet das für mein Leben jetzt und hier? Wie kann Christus in mir geboren werden?

Mit dieser Frage rühren wir an die tiefste Möglichkeit, das Weihnachtsfest geistlich fruchtbar zu machen. Das Weihnachtsereignis, die Geburt Christi, kann in geistiger und mystischer Weise in uns selbst wieder Wirklichkeit werden. Der Mensch, der sich im Glauben und in der Liebe mit Christus vereint, kann erfahren, dass Christus gleichsam in ihm geistiger Weise neu aufgeht, neu geboren wird: als Retter, als Helfer, als Tröster und auch als Freund. Indem der Geist, die Kraft, das Leben Christi in unser Herz eingeht, wird Jesus in unserem Herzen in gewisser Weise neu geboren.

 

 

Die Heilige Nacht soll ja eine ganz besondere Nacht sein. Das hören wir gerade in diesen Tagen in vielen Geschichten. Nun ist Jesus vor 2000 Jahren geboren. Und doch betet die Kirche gerade am Weihnachtstag „Heute ist Christus geboren“. Warum heute?

Diese Frage zielt auch auf die Möglichkeit einer noch tieferen Einigung mit Christus und zwar in der Feier der Liturgie. Tatsächlich wird in der liturgischen Feier das Ereignis, das man begeht, in gewisser Weise wieder gegenwärtig – zunächst in der Erinnerung, im Gedächtnis. Aber das ist kein bloßes gedankliches Erinnern, das sich nur im Denken des Menschen vollziehen würde. Vielmehr ragt in den Zeichen und Handlungen der Liturgie, vermittels der Gnade, etwas von der Wirklichkeit des Erinnerten in die Feier der Gemeinde hinein. Am tiefsten und intensivsten geschieht diese Vergegenwärtigung Christi im heiligen Messopfer, im Blut und Leib Jesu Christi, welcher der Leib des in Bethlehem geborenen Herrn ist.

Weihnachtskrippe
Der Weg aus der Routine

 

Wie kann man konkret aus der Weihnachtsroutine ausbrechen und dieses Fest wieder tiefer erleben?

Nun, alles, was in einem zeitlichen Rhythmus wiederkehrt und sich im Menschenleben wiederholt, kann auch der Routine anheimfallen und so schal und brüchig werden. Der Gefahr der Veräußerlichung, der Entleerung des Festes, ist grundsätzlich mit dem aufrichtigen Willen zu begegnen: zurück zum Ursprung, zum wahren Sinn des Weihnachtsfestes in der geistigen Begegnung mit dem Kind von Bethlehem, mit Christus, dem Herrn. Es ist dies eine Begegnung mit dem Licht Christi, das immer auch den Ernst des Opfers für die anderen bei sich hat. Wer das bedenkt, wird der Gefahr der Routine entgehen.

 

Wie werden Sie denn selbst das Weihnachtsfest erleben?

Am Heiligen Abend feiere ich die Christmette mit den Senioren eines Altersheims, in dem ich normalerweise auch den Sonntagsgottesdienst halte. Darauf besuche ich die Leute bei ihrem Weihnachtssingen und begrüße sie. Danach bin ich in einer geistlichen Gemeinschaft und feiere mit dieser zusammen.

 

 

Bleibt uns, Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest zu wünschen, Herr Kardinal, vielen Dank für dieses Gespräch.

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