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Libanon: Zwischen Trauer und Wut

Libanon: Zwischen Trauer und Wut

Ein Jahr nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut

03.08.2021 aktuelles
Beirut am Dienstag, 4. August 2020, um 18:07 Uhr: Eine gigantische Explosion erschüttert die libanesische Hauptstadt. 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, die in einem großen Silo im Hafen gelagert haben, geraten in Brand und fliegen in die Luft. Die Druckwelle zerstört große Teile der Stadt, insbesondere die Viertel, in denen viele Christen leben.

 

Mehr als 200 Menschen kommen ums Leben, 6500 Menschen werden verletzt. Tausende sind von jetzt auf gleich obdachlos: Fenster und Türen sind geborsten, Fassaden und ganze Häuser eingestürzt, Trümmer liegen überall in den Straßen.

KIRCHE IN NOT hatte damals schnell geholfen. Schon wenige Tage nach der Explosion konnte in Zusammenarbeit mit Projektpartnern vor Ort eine Lebensmittelhilfe für Tausende betroffene Familien auf die Beine gestellt werden, die ihr Hab und Gut so plötzlich verloren hatten.

Rauchsäule über Beirut am 4. August 2020 (Foto: Samer Nassif).
Am 4. August ist diese Katastrophe nun ein Jahr her. Der libanesische Ministerrat hat für den 4. August einen Staatstrauertag ausgerufen. Behörden und öffentliche Einrichtungen bleiben an diesem Tag geschlossen. Die Menschen werden sich im Hafen von Beirut zu einer Gedenkveranstaltung versammeln, die vom maronitischen Patriarchen Bechara Kardinal Rai geleitet wird.

 

Wut und Enttäuschung über Regierung

Doch es ist nicht nur Trauer, die an diesem Mittwoch im Mittelpunkt steht, sondern auch die Wut und Enttäuschung der Bevölkerung: Der Libanon leidet seit Herbst 2019 unter einer großen Wirtschaftskrise. Ein Licht am Ende des Tunnels ist derzeit nicht zu sehen: ausufernde Korruption, eine verfallende öffentliche Infrastruktur und Krankenhäuser, die durch die Pflege vieler Covid-19-Fälle vor dem Zusammenbruch stehen.

Aufgrund der Zukunftslosigkeit haben bereits viele Pflegekräfte und Ärzte das Land verlassen oder planen es zumindest. Auch Lehrer an den katholischen Schulen kündigen, um auszuwandern, denn ihr Gehalt reicht nicht aus, um ihre Familien zu ernähren.

Schwester Eva Abou Nassar vom „Collège de la Sainte Famille Française“ (Foto: Jacques Berset/KIRCHE IN NOT)
Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in der Zwischenzeit unterhalb der Armutsgrenze. Am „Collège de la Sainte Famille Française“, einer weiterführenden Schule im gut 20 Kilometer von Beirut entfernten Jounieh, berichtet die Verwaltungsleiterin gegenüber Vertretern von KIRCHE IN NOT, dass sie allein im Juni und Juli dieses Jahres etwa 20 Lehrer verloren habe. Sie wollen das Land verlassen, weil sie einfach nicht mehr über die Runden kommen. Der Grund: Die Kaufkraft ist drastisch gesunken.

 

Libanesische Währung hat massiv an Wert verloren

„Während vor der Krise ein Anfangsgehalt von 1525 Millionen Libanesischen Pfund ungefähr 1000 US-Dollar entsprach, sind es nach dem Einbruch des Libanesischen Pfunds heute nur noch 75 bis 80 US-Dollar“, erklärt Schwester Eva Abou Nassar. „Ein erfahrener Lehrer verdient das Doppelte, aber das ist viel zu wenig. Vor der Krise entsprach ein US-Dollar 1500 Libanesischen Pfund, heute bekommt man dafür auf dem Schwarzmarkt 18.900 Pfund.“

Verteilung von Lebensmitteln in Beirut wenige Tage nach der Explosion vom 4. August 2020.
Selbst Dinge des täglichen Bedarfs sind unerschwinglich geworden. Einige Beispiele: Eine Packung Kindermilch kostet 250.000 Libanesische Pfund. Die Miete für einen Stromgenerator beläuft sich auf 600.000 Pfund, und das bei einem monatlichen Mindestlohn von 675.000 Pfund. Das öffentliche Stromnetz wird nur zwei bis vier Stunden am Tag betrieben. Ersatzteile fürs Auto kosten zwei bis vier Monatsgehälter. Schwester Eva berichtet, dass Familien frühmorgens im Schutz der Dunkelheit in Mülltonnen nach Essen suchten, um nicht gesehen zu werden.

 

Strom gibt es nur für zwei bis vier Stunden am Tag

Auf der Mauer an der Straße, die entlang des Hafens von Beirut verläuft, stehen die Namen der „Märtyrer“, die bei der Explosion am 4. August 2020 ums Leben gekommen sind. Auch einige bereits verblasste Fotos von Kindern sind dort zusehen.

„Die Menschen sind es satt, dass das politische Establishment den Kuchen unter sich aufteilt und sich nicht um die Bedürfnisse der Bevölkerung kümmert“, sagt der Anwalt Wajih Raad. Auch ein Jahr nach der Katastrophe wirken die Stadtviertel wie tot: An zahlreichen Geschäften sind Eisengitter heruntergelassen, fast alle Restaurants, die die hier die Straßen säumten, sind geschlossen.

 

„Es wird lange dauern, aber wir werden es schaffen“

Auch wenn die Stimmung bedrückend sei und viele Libanesen das Land verlassen wollen, so blickt Wajih Raad hoffnungsvoll in die Zukunft. „Es wird einige Jahre dauern, aber wir werden es schaffen“, ist er sich sicher.

Auch Pater Raymond Abdo, Provinzial der Unbeschuhten Karmeliten im Libanon, denkt positiv. „Papst Franziskus gibt uns die Hoffnung, dass wir dieser Krise trotzen können. Er ruft die Weltkirche auf, uns nicht fallen zu lassen. Der Papst wird die Kirche im Libanon nicht aufgeben. Warum sollten wir uns vor anderen fürchten, wenn wir an Jesus Christus glauben?“

Der Hafen von Beirut ein Jahr nach der Explosion vom 4. August 2020 (Foto: Jacques Berset/KIRCHE IN NOT).
KIRCHE IN NOT stellte im vergangenen Jahr rund 2,7 Millionen Euro für den Wiederaufbau von kirchlichen Gebäuden zur Verfügung. Die ersten Kirchen konnten bereits wieder renoviert werden und für Gottesdienste öffnen.

 

Mehr als 2,2 Millionen Euro wurden an Nothilfe, die Beschaffung von Transportmitteln sowie die Unterstützung zum Lebensunterhalt und von Ordensleuten zur Verfügung gestellt. Insgesamt investierte KIRCHE IN NOT 5,4 Millionen Euro für Hilfsprojekte im Libanon.

Um die Arbeit der Kirche im Libanon zu unterstützen, bittet KIRCHE IN NOT um Spenden – entweder online oder auf folgendes Konto:

Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München

IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05

Verwendungszweck: Libanon

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