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Agnes von Böhmen - die Heilige der „Samtenen Revolution“

Agnes von Böhmen - die Heilige der „Samtenen Revolution“

01.03.2021 aktuelles
Vor 30 Jahren wurde Agnes von Prag, die auch als Agnes von Böhmen bekannte volkstümliche Selige heiliggesprochen. Damit erfüllte sich ein lang gehegter Wunsch des heute mehrheitlich atheistischen tschechischen Volkes. – Ein Beitrag des Kirchenhistorikers Rudolf Grulich

 

Die römische Heilige Agnes ist eine bei vielen Völkern bekannte und beliebte Heilige, die im ersten Hochgebet sogar nach der Wandlung unter den großen Märtyrern der frühen Kirche genannt wird. Weniger bekannt ist dagegen bei uns die heilige Agnes von Prag, die in ihrer Heimat auch Agnes von Böhmen genannt wird und deren Fest wir am 2. März begehen. Am 12. November 1989 wurde sie heiliggesprochen.

Agnes pflegt einen Kranken. Kreuzherren-Altar von 1492, heute in der Nationalgalerie in Prag.
2011 feierte die Kirche der Tschechischen Republik ihren 800. Geburtstag. Wenn wir es mit wenig oder unbekannten Tatsachen zu tun haben, sprechen wir im Deutschen gerne von „böhmischen Dörfern“. Das gilt auch von der hl. Agnes von Prag. Sie ist aber für ganz Europa von Bedeutung, denn sie ist eine wahre europäische Heilige, was auch Joachim Kardinal Meisner betonte, der Papst Benedikt XVI. 2011 als Legat bei der 800. Jahrfeier im Veitsdom zu Prag vertrat.

 

In Böhmen und Mähren ist diese Agnes als Agnes von Böhmen wohl bekannt. Auf dem oberen Teil des berühmten Wenzelplatzes in Prag stehen um das Reiterstandbild des Herzogs und ersten böhmischen Heiligen vier weitere Heiligengestalten als die ersten Patrone Böhmens: Adalbert und Prokop sowie die heilige Ludmilla und die zur Zeit der Errichtung des Denkmals noch selige und erst 1989 heiliggesprochene Agnes von Prag.

Statuengruppe im Prager Veitsdom mit dem heiligen Adalbert.
Ihre Verehrung in der heutigen Tschechischen Republik ist ungewöhnlich, ist doch Tschechien nach vier Jahrzehnten Kommunismus und nach einer unglücklichen Geschichte seit dem Dreißigjährigen Krieg ein Land, in dem es prozentual die wenigsten Gläubigen in Europa gibt.

 

Das mehrheitlich konfessionslose Tschechien ehrt seine Heiligen

Dennoch ehrt das Land seine Heiligen. In Deutschland dagegen sind seit Jahrzehnten eine Reihe von gesetzlichen und vom Staat geschützten Feiertage langsam, aber konsequent abgeschafft worden, auch in katholischen Bundesländern wie Bayern: St. Joseph am 19. März, Peter-und-Paul am 29. Juni, Maria Unbefleckte Empfängnis am 8. Dezember, bei den Protestanten auch der Reformationstag und der Buß- und Bettag.

Auch die christlichen Parteien haben dies mit den Kosten begründet! So könnte man ausrufen: Armes Deutschland! Unser Nachbarland Tschechien konnte es sich dagegen leisten, außer dem Festtag der Slawenapostel Cyrill und Method auch einen arbeitsfreien Feiertag zu Ehren von Johannes Hus einzuführen und auch den Tag des heiligen Wenzel zu einem staatlichen Feiertag zu erklären.

Die heilige Agnes war auf dem bis 2011 gültigen 50-Kronen-Schein abgebildet (Foto: Wikipedia; R. Zenner).
Obwohl der 800. Geburtstag Jubiläum der heiligen Elisabeth von Thüringen 2007 durch den Anstrom von Besuchern aller Konfessionen bei den Veranstaltungen, Ausstellungen und auch bei den Gottesdiensten und Pilgerfahrten zeigte, dass die Heiligen auch in Deutschland beim Volk wieder gefragt sind, ist das zur hohen Politik noch nicht durchgedrungen.

 

Ehemals kommunistische Länder haben sogar Heilige auf Münzen und Geldscheinen: Auf tschechischen und slowakischen Kronen sind der heilige Wenzel und historische Kreuze abgebildet, auf dem slowakischen 50-Kronen-Schein waren bis zur Einführung des Euro Cyrill und Method zu sehen, auf dem slowakischen 100-Kronen-Schein die Madonna von Leutschau und auf der bis vor kurzen gültigen 50-Kronen-Banknote Tschechiens sahen wir die Agnes von Böhmen mit den Zusatz „Heilige Agnes von Böhmen”.

Die heilige Hedwig war die Tante von Agnes – Statue in der Klosterkirche von Trebnitz.
Agnes war die Tochter des Königs Ottokar I., der in Böhmen und Mähren herrschte. Sie wurde im Jahre 1211 in der Hauptstadt Prag geboren. Ihre Tante war die heilige Hedwig von Schlesien, die heilige Elisabeth von Thüringen war ihre Kusine. Die junge Prinzessin wurde in Schlesien im Kloster Trebnitz bei ihrer Tante Hedwig und später im Kloster Doksany nördlich von Prag erzogen. Sicher hat sie in Trebnitz unter dem Einfluss der heiligen Hedwig und ihrem vorbildlichem aus der Substanz des Christentums geführten Leben ihre Ideale empfangen.

 

Mit der heiligen Hedwig und der heiligen Elisabeth verwandt

Von Doksany schickte sie ihr mächtiger und politisch ehrgeiziger Vater an den Hof Leopolds von Österreich, damit sie hier an der großen ritterlichen Schule der damaligen Zeit in das vor ihr liegende höfische Leben eingeführt werde. Dort kam sie zum ersten Male mit dem Franziskanertum in Berührung, vielleicht hat auch der Entschluss ihrer Kusine Elisabeth, das franziskanische Tertiarengewand zu nehmen, sie motiviert, ähnliches oder noch mehr zu tun. Auch Elisabeth baute ein Spital in Marburg und pflegte dort selbst die Kranken. Vielleicht gab auch der politische Handel, den ihr Vater als böhmischer König mit ihr treiben wollte, den Ausschlag, die höfische Welt zu verlassen und ein Leben in Armut zu wählen.

 

Sie lehnte alle Heiratsangebote europäischer Herrscher ab, auch das des Hohenstaufen-Kaiser Friedrich II., nach dem sie schon vorher die Angebote Heinrichs VII. und des Königs von England verschmäht hatte.

Blick auf die Karlsbrücke in Prag.

- Hl. Papst Johannes Paul II. (als Kardinal)
Nach dem Tod ihres Vaters im Jahre 1230 beriet sie zwar ihren König gewordenen Bruder, widmete sich aber sonst ganz der Nächstenliebe. Im Jahre 1233 stiftete sie in Prag ein Klarissenkloster, in das sie 1234 selbst eintrat und dessen Äbtissin sie wurde. Mit der heiligen Klara von Assisi stand Agnes im Briefwechsel. Vier Briefe sind noch erhalten, aus denen wir wissen, dass die hl. Klara ihre Mitschwester Agnes in ihrer konsequenten Einstellung zum Armutsideal ermunterte.

 

Agnes stiftete ein Spital in Prag

In Prag stiftete Agnes ein Spital zu Ehren des heiligen Franz von Assisi. Daraus ging der Orden der Kreuzherren mit dem roten Stern hervor, der 1237 vom Papst Gregor IX. bestätigt wurde. Diese Gemeinschaft von Brüdern und Priestern, die den Dienst an Armen, Pilgern und Kranken ausübten, wurde später zu einem Ritterorden umgewandelt und besteht noch heute. Bis zur Vertreibung der Sudetendeutschen aus Böhmen und Mähren gab es auch deutsche Mitglieder des Ordens. In Gemeinden des Sudetenlandes wie Eger, Franzensbad, Maria Kulm und Tachau betreuten die Kreuzherren die deutschen Pfarreien.

Agnes-Kloster, heute Ausstellungsräume der Nationalgalerie in Prag. Foto: Joachim Schäfer – Ökumenisches Heiligenlexikon.
Späte Selig- und Heiligsprechung

Die hl. Agnes starb am 2. März 1282 in Prag. In Böhmen wurde sie immer verehrt, aber durch die religiösen Kämpfe in Böhmen wie zum Beispiel in der Hussitenzeit und durch den Dreißigjährigen Krieg, durch die Kräfte des Josephinismus und Liberalismus stockten immer wieder die Bemühungen zu ihrer Kanonisation und kam es erst 1874 zur Seligsprechung und erst am 12. November 1989 zur Heiligsprechung durch Papst Johannes Paul II. in Rom. Viele Tschechen litten unter dieser Jahrhunderte dauernden Verzögerung. „Wenn einmal die selige Agnes heiliggesprochen wird“ bedeutete so viel wie bei uns am St. Nimmerleinstag oder an den griechischen Kalenden.

 

Noch in der Zeit der kommunistischen Kirchenverfolgung in der Tschechoslowakei hat 1987 der damals bereits 88 Jahre alte Erzbischof von Prag, Kardinal František Tomašek, für die katholische Kirche in Böhmen und Mähren eine Novene von neun Jahren bzw. ein Zehnjahresprogramm der moralischen Erneuerung vorgelegt. Während dieser Zeit, die 1997 mit dem Gedenken an den tausendsten Todestag des heiligen Adalbert von Prag, des ersten Prager Bischofs böhmischer Herkunft, enden sollte, bestimmte der Kardinal Heilige als Patrone der einzelnen Jahre und begann 1988 mit dem Jahr der seligen Agnes von Böhmen. In ihm sollten Fragen der Ehre und des Dienstes am Leben im Mittelpunkt stehen. 1989 war das Jahr zweier deutscher Heiliger, des heiligen Klemens Maria Hofbauer aus Südmähren und des heiligen Nepomuk Neumann aus Südböhmen. Drei Selige dieses Jahrzehntes der geistlichen Erneuerung sind inzwischen heiliggesprochen, als erste die hl. Agnes, 1995 auch Zdislava und Johannes Sarkander.

 

Im tschechischen Volk war man immer überzeugt, dass nach einer erfolgten Heiligsprechung glückliche Tage für Böhmen anbrechen würden. Und so kam es!

Kardinal František Tomašek (Mitte) und Pater Werenfried (rechts), Gründer von KIRCHE IN NOT, bei einem Treffen in Prag im Jahr 1990.
Die Heiligsprechung durch Papst Johannes Paul II. erfolgte am 12. November 1989 in Rom. Die kommunistischen Behörden mussten damals schon einen Pilgerzug nach Rom genehmigen, weil Glasnost und die Perestrojka in Moskau auch auf die Satellitenstaaten ausstrahlten. Fünf Tage nach den Feierlichkeiten in Rom kam es am 17. November zur „Samtenen Revolution“ in Prag und am 23. April 1990, am Fest des Bischofs Adalbert von Prag konnte der Papst den ersten Besuch in einem ehemals kommunistischen Land nach der Wende machen. Als ihn am Prager Flughafen Präsident Vaclav Havel begrüßte, soll Havel gesagt haben: „Heiliger Vater, ich weiß nicht, was ein Wunder ist, aber dass Sie heute bei uns, ist ein Wunder.“

 

Zum Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils tauschten die polnischen und deutschen Bischöfe ihren Briefwechsel der nationalen Versöhnung aus. In ihrer Grußbotschaft an ihre deutschen Amtsbrüder vom 18. November 1965 hatten alle polnischen Bischöfe, darunter auch der spätere Papst Karol Wojtyla als Erzbischof von Krakau, festgestellt:

 

„Brücken bauen zwischen Völkern können nur heilige Menschen, nur solche, die eine lautere Meinung und reine Hände besitzen. Sie wollen dem Brudervolk nichts wegnehmen, weder Sprache noch Gebräuche noch Land, noch materielle Güter; im Gegenteil: sie bringen ihm höchst wertvolle Kulturgüter und sie geben ihm gewöhnlich das Wertvollste, was sie besitzen: sich selbst.“

 

Das gilt auch von der heiligen Agnes von Böhmen. Möge sie Deutsche und Tschechen noch mehr zusammenführen als bisher!

 

Prof. Dr. Rudolf Grulich (2019)