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„Wachs, das sich verzehren lässt“ - In Erinnerung an Don Andrea Santoro

„Wachs, das sich verzehren lässt“ - In Erinnerung an Don Andrea Santoro

Rudolf Grulich zum 15. Todestag von Pater Andrea Santoro

04.02.2021 aktuelles

Täglich hören und lesen wir von Morden in aller Welt. Das Fernsehen liefert uns oft dazu Bilder ins Wohnzimmer. Aber bald wird das Geschehen vergessen. Wenn man eines der Opfer persönlich kannte, ist man innerlich noch mehr betroffen.

 

So ging es Rudolf Grulich, als am 5. Februar 2006 im türkischen Trabzon am Schwarzen Meer der katholische Priester Andrea Santoro erschossen worden war. Er stellt uns zum 15. Todestag den neuen Märtyrer und dessen Gemeinde am Schwarzen Meer vor, die er noch im Herbst 2005 besucht hatte …

Pater Andrea Santoro feiert eine heilige Messe (Foto: Erzbistum Rom).

Erst im Jahr 2000 war der damals 55 Jahre alte Priester Andrea Santoro aus Italien freiwillig in die Türkei gegangen, um die kleine katholische Gemeinde in Trabzon, dem alten Trapezunt der Griechen, als Seelsorger zu betreuen. Weniger als sechs Wirkungsjahre waren ihm vergönnt, als er am 5. Februar 2006 hinterrücks von einem 16-Jährigen erschossen wurde, während er in seiner Kirche kniete. Zwei Kugeln durchschlugen Herz und Leber. In aller Welt war man über den Mord entsetzt.

 

In der Kirche beim Gebet erschossen

Bei der Generalaudienz am 8. Februar 2006 sagte Papst Benedikt XVI.: „Wie könnten wir heute nicht an Don Andrea Santoro erinnern, den Fidei-Donum-Priester der Diözese Rom, der am vergangenen Sonntag in der Türkei ermordet wurde, während er sich, ins Gebet vertieft, in der Kirche befand. Erst gestern Abend hat mich ein schöner Brief von ihm erreicht, den er am 31. Januar zusammen mit der kleinen christlichen Gemeinde der Pfarrei Sancta Maria von Trabzon geschrieben hat … Der Brief ist ein Spiegel seiner priesterlichen Seele, seiner Liebe zu Christus und zu den Menschen, seines Einsatzes für die Kleinen … Möge der Herr die Seele dieses stillen und mutigen Dieners des Evangeliums aufnehmen und gewähren, dass das Opfer seines Lebens zum Anliegen des Dialogs zwischen den Religionen und des Friedens zwischen den Völkern beitrage.“

Beerdigung von Pater Santoro (Foto: Christian Gennari).
Vom Dialog der Religionen sprach der später ermordete Priester auch zu seinen leider seltenen Besuchern, die den Weg nach Trab­zon fanden: „Überall habe ich Interesse und rege Teilnahme erfahren sowie den aufrichtigen Wunsch, zu verstehen und Bande der Gemeinschaft zu knüpfen. Ich habe die Bedeutung und die Möglichkeit erkannt, zwischen diesen beiden Welten einen Austausch von geistigen Gütern herzustellen.

 

Der Nahe Osten, das große ‚Heilige Land’, wo sich Gott dem Menschen auf ganz besondere Weise mitteilen wollte, besitzt – dank des Lichts, das Gott stets ausgegossen hat – seine Reichtümer und die Kraft, unsere westliche Welt zu erleuchten.“

Pater Andrea Santoro mit einem aramäischen Mönch der syrisch-orthodoxen Kirche (Foto: Erzbistum Rom).
Als er kurz vor seinem Tod noch seine Heimat Italien besuchte, schrieb er in die Türkei: „Inzwi­schen ist die winzige christliche Gemeinde in Trabzon an jedem Sonntagvormittag zusammengekom­men, um den Wortgottesdienst zu feiern. Zweimal in der Woche ist die Kirche unter der Verantwor­tung einer vertrauenswürdigen Person für Muslime geöffnet worden. Ich werde euch wissen lassen, wie das funktioniert.

 

„Es darf kein abstrakter Glaube sein”

Ich grüße euch, empfehle euch diese Gedanken an und ermahne euch, den Glauben immer mit dem gegenwärtigen Augenblick in Verbindung zu bringen. Er darf kein abstrakter und allgemeiner Glaube sein, sondern ein Glaube wie in der Zeit der ‚Anfänge’, der uns von Generation zu Generation überlie­fert worden ist. Wie es im Evangelium heißt, besitzt der Sauerteig die geheimnisvolle Fähigkeit, die ganze Masse zu durchsäuern, wenn er mit ihr in Berührung kommt – die Masse aller Zeiten, aller Orten, aller Generationen.

Darüber hinaus hat Jesus gesagt: ‚Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen.‘ Wenn uns dieses Licht erleuchtet, dann wird nicht nur jede Situation, selbst die tragischste, erleuchtet werden, sondern zudem werden auch wir, wie Jesus immer gesagt hat, selbst Licht sein. Das zarte Kerzenlicht erleuchtet das Haus, während bei einer ausgelöschten Lampe alles Dunkel bleibt. Jesus möge in uns strahlen – mit seinem Wort, mit seinem Geist, mit der Kraft seiner Heiligen. Möge unser Leben jenes Wachs sein, das sich bereitwillig verzehren lässt. In Liebe, Pater Andrea“.

 

Kardinal Enrico Feroci erinnert an seinen Freund, den Märtyrer Don Andrea Santoro

Wer war dieser neue Märtyrer? Andrea Santoro wurde 1945 in Priverno in der Region Latium geboren. Unmittelbar nach dem Tod seines Vaters Gaetano trat er als Elfjähriger in das Kleine Seminar ein. „Brücke“ und „Fenster“ zum Islam zu sein, war ihm seit frühster Jugend ein Bedürfnis. 1970 wurde er in Rom zum Priester ge­weiht, wo er später die Pfarrgemeinde „Gesù di Nazareth“ an der Peripherie der Hauptstadt leitete. Hier kämpfte er acht Jahre lang mit der Verwaltung, um ein Grundstück für den Bau einer Kirche zu bekommen. 1988 baute er diese mit Hilfe von Spenden auf.

 

Auf eigenen Wunsch in die Türkei

Im Jahr 2000 ging er auf eigenen Wunsch in die Türkei, die er als „Heiliges Land“ betrachtete, „weil hier die Apostel gewesen sind und das Blut der Märtyrer vergossen wurde“. Noch am 22. Januar 2006 hatte Santoro auf einer Konferenz seine Vision dargelegt, „der Verständigung und dem Austausch zwischen entfernten Welten, dem Islam, dem Ju­dentum und den christlichen Kirchen, einen Weg zu bahnen“. Er gründete die Vereinigung „Ein Fenster in den Nahen Osten“, die sich in den Dienst einer gegenseitigen „Re-Evangelisierung“ von Ost und West stellte.

Beerdigung von Pater Santoro (Foto: Christian Gennari).
Bei Trauer-Gottesdiensten für ihn in Istanbul und Rom gedachte man seiner. Creszensio Kardinal Sepe, der Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, erinnerte in seiner Ansprache in der Laterankirche in Rom an das Wort Jesu vom Weizenkorn, das Don Andrea immer wieder zitiert habe, als wäre es sein Lebensprogramm.

 

„Weizenkorn-Gleichnis” als Lebensprogramm

Aus heutiger Sicht auf seinen Tod könne man es als „eine Vorahnung und die Ankündi­gung dessen“ verstehen, „dass die Hingabe des eigenen Lebens für die Sache des Evangeliums nicht ohne Früchte bleiben sollte … Don Andrea war nicht in die Türkei gegangen, um Gläubige abzuwer­ben, um sich gegen das Umfeld zu wenden, in dem er lebte, um die Gesellschaft zu einem Wandel zu zwingen: Er war ein Missionar durch seine einfache Präsenz, durch sein Gebet und sein Augenmerk für die materielle und geistige Armut, die ihn umgab, ganz eingenommen von der Liebe zu Gott und zu den Menschen in seiner Nähe.“

Pater Santoro mit Kindern in Anatolien (Foto: Erzbistum Rom).
Don Andrea kannte die Geschichte seiner Pfarrei Trabzon und des einstmals blühenden Christentums in dieser Stadt. Noch vor dem Ersten Weltkrieg gab es dort einen armenischen und griechischen Bischof, mehrere Klöster von Orthodoxen, Armeniern und Katholiken. Sie sind heute Ruinen, da die Armenier 1915 deportiert und ermordet und die Griechen 1923 nach Griechenland umgesiedelt wurden.

 

Einstmals blühendes Christentum in Trabzon

Im damaligen Kapuzinerkloster lebten auch deutschsprachige Priester, die vor dem Ersten Weltkrieg über das Schwarze Meer hinweg auch die Dobrudschadeutschen im heutigen Rumänien betreuten. Don Andrea hatte sich über die Vertreibung von Griechen und Armeniern sachkundig gemacht und verurteilte jede Vertreibung, auch die der Ostdeutschen, aber auch der Hunderttausenden von Türken vom Balkan die ihre Heimat verloren.

Trabzon, das bis 1990 Sitz einer Mission sui iuris war, gehört seit der kirchlichen Neuordnung Kleinasiens zum Apostolischen Vikariat Anatolien, dessen Oberhirte Bischof Luigi Padovese von Iskenderun aus die wenigen Christen in einer unvorstellbaren Diasporasituation betreute, aber wie Don Andrea am 3. Juni 2010 getötet wurde.

Bischof Luigi Padovese, Apostolischer Vikar von Anatolien, wurde ebenfalls getötet.
Über den ganzen Osten der Türkei östlich von Ankara erstreckt sich dieses Apostolische Vikariat. Auf einer Fläche von über 400 000 Quadratkilometern, also größer als die Bundesrepublik Deutschland, gibt es nur sechs Pfarreien und acht Kirchen wie in Iskenderun in der Bischofskirche, in Mersin, Antakya, Adana sowie Samsun und Trabzon am Schwarzen mit insgesamt weniger als 5000 Katholiken. Dennoch ist es ein Gebiet, das die Wiege der Kirche ist und das wir nicht vergessen dürfen.

 

Apostolisches Vikariat flächenmäßig größer als Deutschland

Papst Johannes Paul II. hatte die Türkei „ein heiliges Land der Urkirche“ genannt. So wie Palästina das Land Jesus ist, gebührt der Türkei der Beiname „Land der Kirche“. Auf dem Gebiet des Vikariats sind in Antiochien, dem heutigen Antakya, die Jünger Jesu zum ersten Mal „Christen“ genannt worden, wie der heilige Lukas in der Apostelgeschichte berichtet.

Katholische Kirche in Samsun (Apostolisches Vikariat Anatolien).

In der jungen Christengemeinde von Antiochien weilte auch der heilige Petrus. Deshalb beging die Kirche bis zum Zweiten Vatikanum ein eigenes Fest „Petri Stuhlfeier zu Antiochien“ am 22. Februar und gedachte dabei der Tatsache, dass erst von hier aus Petrus nach Rom ging, was am 18. Januar als Petri Stuhlfeier zu Rom gefeiert wurde. Von Antiochien aus startete Paulus mit Barnabas zu seiner ersten Missionsreise. In Tarsus ist der große Völkerapostel geboren, zu dessen 2000. Geburtstag Papst Benedikt XVI. für 2008 das Paulus-Jahr ausgerufen hat.

 

Gemeinde im Vikariat gehen auf Apostel Paulus zurück

So fußen die Gemeinden des Vikariates auf der Tätigkeit der Apostel. Der Erste Brief des heiligen Petrus ist auch an die Gemeinden im Pontos, also im Schwarzmeergebiet, gerichtet. Wenn wir das Martyrologium Romanum studieren, finden wir neben Rom und Konstantinopel die meisten Zeugen für Christus in den Provinzen Kleinasiens. Christliche Märtyrer gibt es dort auch heute, wie Don Andrea Santoro, ein Jahr später die drei Märtyrer von Malatya beweisen und 2010 die Ermordung des Bischofs Padovese in Iskenderun durch seinen Fahrer. KIRCHE IN NOT hat in Erinnerung an den Bischof das Buch „Die Kirche in der Türkei“ herausgegeben und hat den Bischof ebenso wie Don Andrea nicht vergessen.

 

In Iskenderun wurde das Haus des Biblisch-Patristischen Zentrums in „Don Andrea-Santoro-Zentrum“ umbenannt. Es wollte Touristen, Pilger, Journalisten und Wissenschaftler zu Tagungen, Konferenzen, Einkehrtagen und auch zum Erholen einladen. Der Tod des Bischofs hat dieser Entwicklung gewaltig geschadet. Erst 2015 wurde mit dem Jesuiten Paolo Pizzeti ein neuer Administrator mit Bischofsweihe eingesetzt.

 

Bischof Luigi Padovese über den Tod seines Priesters Andrea Santoro (2006)

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