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Slowakei: Ein katholisches Land mit ökumenischer Vielfalt

Slowakei: Ein katholisches Land mit ökumenischer Vielfalt

Kirchenhistoriker Rudolf Grulich zur Lage der Kirche in der Slowakei

13.09.2021 aktuelles
Vom 12.-15. September besucht Papst Franziskus die Slowakei. Er kommt in ein Land, das lange im Schatten der Tschechoslowakei stand, ja die Slowaken galten nach 1918 gar nicht als eigenes Volk, sondern als Tschechoslowaken. Als Johannes Paul II. als erster Slawe auf dem Stuhl des hl. Petrus 1980 die Slawenapostel Cyrill und Method zu Patronen Europas erhob, wies er den Slawen ihren Platz in Europa zu. Er betonte damit, dass außer Germanen und Romanen auch die Slawen und andere Völker des Ostens die Grundlagen Europas mitgeschaffen haben. Johannes Paul II. hatte deshalb außer seiner polnischen Heimat auch dreimal die Tschechische Republik und Kroatien besucht, zweimal war er in Bosnien und Slowenien, aber auch drei Mal in der jungen Slowakei, die erst seit dem 1. Januar 1993 ein selbständiger Staat ist.

 

Als er 1990 nach der Wende zum ersten Mal ein ehemaliges Ostblockland besuchte, war dies die damalige Tschechoslowakei. Von Prag aus fuhr Johannes Paul II. damals zunächst ins mährische Velehrad, wo die Tradition und die Erinnerung an Cyrill und Method stets lebendig geblieben war, und machte mit seiner Visite in der slowakischen Hauptstadt Pressburg (Bratislava) deutlich, dass auch und gerade die kleinen Völker Osteuropas ihre Bedeutung haben. 1995 kam dann der Papst in das ostslowakische Kaschau (Košice), um die drei Kaschauer Märtyrer heilig zu sprechen. Es handelte sich dabei um drei Priester aus Polen, Kroatien und Siebenbürgen, die 1620 um ihres katholischen Glaubens willen ihr Leben hingegeben hatten. Auch 2003 wollte er durch zwei Seligsprechungen zeigen, dass alle Völker Zeugen für Christus stellten.

Die Basilika von Velehrad in Mähren, Bischofssitz des Methodius.

Alte und junge Kirchengeschichte

Erst 1978, kurz vor dem Beginn des Pontifikates des polnischen Papstes, erhielt die Slowakei eine eigene Kirchenprovinz. Am 10. Januar 1978 hatte Papst Paul VI. eine slowakische Kirchenprovinz errichtet, dessen neuem Metropolitansitz Tyrnau (Trnava) die fünf Diözesen Neutra (Nitra), Neusohl (Banska Bistrica), Zips (Spiš), Rosenau (Rožnava) und Kaschau (Košice) unterstellt waren. Die unierte Diözese Preschau (Prešov) blieb exemt und unterstand direkt dem Heiligen Stuhl.

 

Bis zur Entstehung der Tschechoslowakei 1918 gehörte die Slowakei unter dem Namen Oberungarn zum Reich der ungarischen Stephanskrone. Die Bistümer auf slowakischen Gebiet unterstanden den beiden ungarischen Metropolitansitzen Erlau (Eger) und Gran (Esztergom). Erlau war die kirchliche Metropole für die Bistümer Kaschau, Rosenau und Zips. Gran als dem kirchlichen Mittelpunkt ganz Ungarns und Sitz des Primas waren die Diözesen Neutra und Neusohl unterstellt, ferner die griechisch-katholische Eparchie Preschau (Prešov). Auf seit 1918 tschechoslowakischem Gebiet befand sich auch ein beträchtlicher Teil der Erzdiözese Gran, die in dem durch den Vertrag von Trianon verstümmelten Restungarn kein geschlossenes Diözesangebiet mehr hatte. Außerdem erstreckten sich Teile der nun in Rumänien liegenden Diözese Sathmar (Satu Mare) auf slowakisches Gebiet.

 

Wie in den anderen Gebieten des alten Ungarn, die nach dem Ersten Weltkrieg durch die neuen Grenzen von ihren alten kirchlichen Metropolen getrennt waren, kam es auch in der Slowakei nach 1918 zu keiner Regelung der Diözesangrenzen. Die Versuche der Prager Regierung bereits während der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918 – 1939) eine eigene slowakische Kirchenprovinz zu schaffen, hatten keinen Erfolg. 1922 errichtete Rom in Tyrnau eine Apostolische Administratur für den slowakischen Anteil der Erzdiözese Gran. Die Teile des Bistums Sathmar auf slowakischem Gebiet wurden der vorläufigen Jurisdiktion von Kaschau unterstellt. 1937 erklärte der Vatikan die Diözesen in der Slowakei für exemt, da sich die Regierung in Budapest jeder anderen Regelung widersetzte.

Rudolf Grulich als Reiseleiter einer KIRCHE IN NOT-Wallfahrt vor dem Denkmal von Cyrill und Method in Neutra (Nitra).
Das Christentum kann aber auf slowakischem Boden bis in die Zeit des Großmährischen Reiches und der Slawenapostel Cyrill und Method zurückblicken. Die erste Kirche in Neutra war sogar noch früher, 828, von Passau aus gegründet worden und schon zur Zeit des hl. Method ein Bischofsitz der fränkischen Reichskirche. Nach den Ungarneinfällen erlosch Neutra als Bistum, wurde aber bereits von König Stephan I. im Jahre 1024 wiedererrichtet.
Die Bistümer Zips, Neusohl und Rosenau entstanden zur Zeit Maria Theresias 1776, das Bistum Kaschau erst 1804. Während der 150 Jahre dauernden türkischen Besetzung Ungarn spielte Tyrnau eine wichtige Rolle, da der Primas von Ungarn seinen Sitz von Gran hierher ins „slowakische Rom“ verlegte, wo es auch eine bedeutende Jesuitenuniversität gab.

 

Kommunistische Verfolgung

 

Wie in Böhmen und Mähren wurde auch in der Slowakei die Kirche in kommunistischer Zeit gewaltig unterdrückt, in gewissem Sinne sogar mehr als in Tschechien, da sich die Slowakei 1939 für selbstständig erklärt hatte und an der Spitze des Staates mit Monsignore Tiso bis 1945 ein katholischer Priester gestanden hatte. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf Befehl von Eduard Beneš hingerichtet. Bis heute wird auch im Westen leichtfertig von der damaligen „klerofaschistischen“ Slowakei geredet, aber ein Politiker wie Beneš verherrlicht.

 

Die Slowakei war 1939 nicht nur von Deutschland und dem Vatikan anerkannt, sondern auch von der Sowjetunion und praktisch allen Staaten des Völkerbundes. Viele Slowaken verehren Tiso als Märtyrer. Trotz der kommunistischen Verfolgung wirkten sich aber die Maßnahmen des Staates in der Slowakei nicht so unheilvoll aus wie in Tschechien, da die Bevölkerung eine tiefreligiöse Einstellung hatte und der Staat auf diese entschiedene Haltung der Bewohner gelegentlich sogar Rücksicht nehmen musste. Aber es kamen Bischöfe und Priester ins Gefängnis. Seit 1950 waren alle slowakischen Diözesen vom Kontakt mit der Mutterkirche in Rom abgeschnitten. Die Orden wurden aufgehoben, die griechisch-katholische Kirche wie in der Ukraine aufgelöst bzw. zur „Rückkehr“ zur Orthodoxen Kirche gezwungen. Der Priesternachwuchs für alle Diözesen wurde gedrosselt, da es nur noch ein Seminar für die ganze Slowakei in Pressburg gab, über dessen Zugang und Eintritt der Staat die Kontrolle hatte. Jahre lang waren manche Diözesen nicht besetzt, da die Prager Regierung keine Zustimmung gab.

Tyrnau in rot getaucht. Die slowakische Bischofsstadt nahm 2020 teil am „Red Wedenesday“, einer Aktion, mit der KIRCHE IN NOT weltweit auf das Thema Christenverfolgung aufmerksam machen möchte.
In der Zeit des kurzen Prager Frühlings war allerdings 1968 die griechisch-katholische Kirche wieder erlaubt worden. Fast alle gewaltsam zur Orthodoxie gezwungenen Pfarreien kehrten zu Rom zurück und bewiesen ihre Treue. Die sogenannte „Normalisierung“ nach 1968 brachte erneut Schikanen, Diskriminierung, ja Unterdrückung der Kirche. Die Atheisierung der Bevölkerung wurde verstärkt betrieben, der Religionsunterricht wurde behindert und die Parteipresse erklärte offen, dass Religion keine Privatsache sei und deshalb Gläubige als Lehrer in den Schulen untragbar seien. So wurden viele Lehrer entlassen, „weil sie die hauptsächlichen Grundsätze der Schulpolitik nicht begriffen hatten“.

 

Konfessionelle Vielfalt

 

Weil die Slowakei ein mehrheitlich katholisches Land war und ist, wird sie oft mit Polen oder Kroatien verglichen. Dennoch zeigt sie eine konfessionelle Vielfalt, die sich zum Teil auch in der nationalen Bevölkerungsstruktur spiegelt. Neben slowakischen Lutheranern gibt es auch viele Kalviner unter der starken ungarischen Minderheit des Landes, die weit über eine halbe Million unter fünf Millionen Einwohnern beträgt. Die Bevorzugung der Protestanten von Seiten der Prager Regierung nach 1918 und die Benachteiligung der katholischen Slowaken war der Grund für das Erstarken der Katholischen Volkspartei in den Dreißiger Jahren.

 

Die verbliebenen Deutschen sind im Karpatendeutschen Verein zusammen geschlossen, der rund dreißig Ortsgruppen zählt. Der Hilfsbund der karpatendeutschen Katholiken in Stuttgart versucht ebenso wie die Landsmannschaft der Karpatendeutschen, diesen Deutschen zu helfen. Deutschstämmig war auch der slowakische Präsident Rudolf Schuster. Ein Drittel der nach 1945 vertriebenen 150.000 Karpatendeutschen war evangelisch.

Diese Tafel am Museum der Kultur der Karpatendeutschen in Pressburg erinnert an die Vertreibung der Deutschen.
Orthodoxe Christen gibt es vor allem unter der ukrainischen Minderheit, unter denen auch die griechisch-katholische Kirche vertreten ist. Viele Bewohner der Ostslowakei fühlen sich weder als Slowaken, noch als Ukrainer, sondern als Rusinen, d.h. Ruthenen. Fast völlig verschwunden sind die Juden, die auf eine alte Tradition zurückblickten. Die ethnische Vielfalt im Osten des Landes ist erklärbar durch die Zugehörigkeit der Karpato-Ukraine nach 1918 zur Tschechoslowakei. Im Süden, wo die Ungarn leben, war es 1939 zu Grenzveränderungen mit Ungarn gekommen. Die heute in Prag noch verteidigten Beneš-Dekrete hatten nicht zur die Deutschen, sondern auch die Ungarn rechtlos gemacht.

 

Nach der Wende 1989

Die Samtene Revolution von 1989 brachte auch der Kirche des Landes die Freiheit und der Slowakei die Unabhängigkeit auf friedlichem Wege. Im Gegensatz zur Tschechischen Republik oder anderen ehemals kommunistischen Staaten kann man von der Slowakei noch von einem mehrheitlich katholischen Land sprechen, das zeigen die Volkszählungsergebnisse. Der Nachwuchs in den Priesterseminaren und in den Ordensnoviziaten ist im Vergleich mit anderen Ländern ungewöhnlich hoch. Es sind wieder katholische Schulen entstanden, eine katholische Presse wurde ins Leben gerufen und neue Wege der Pastoral beschritten. 1995 errichtete der Papst eine zweite Kirchenprovinz Kaschau. Zu Pressburg-Tyrnau gehören nun die Bistümer Neusohl und Neutra, während Kaschau die Diözesen Rosenau und Zips unterstellt sind. Die unierte Eparchie Preschau blieb exemt, daneben wurde ein uniertes griechisch-katholisches Exarchat Kaschau gegründet. Papst Benedikt XVI. errichtete dann eine eigene griechisch-katholische Kirchenprovinz Preschau (Prešov) mit einem weiteren Exarchat Pressburg und ein neues römisch-katholisches Bistum Sillein (
Žilina).

Die Kirche stand beim Zerfall der Tschechoslowakei eindeutig auf Seiten der Unabhängigkeit des Landes, hatte aber immer wieder Probleme mit einzelnen Politikern. Seit dem Abgang Meciars hat sich die Beurteilung der slowakischen Politik im Ausland verbessert und wurde die Slowakei im Jahre 2004 Mitglied der Europäischen Union. Viele Probleme sind allerdings geblieben, die 2003 auch als Schatten über dem Papstbesuch standen. So war ein neues Abtreibungsgesetz im Parlament eingebracht worden, gegen das die Kirche ihre Stimme erheben musste. Deshalb war der Besuch einiger Abgeordneter, die sich für dieses Gesetz einsetzten, bei der Papstmesse von der Kirche unerwünscht. Andererseits hatte die Kommunistische Partei ihren Abgeordneten sogar verboten, an der Papstmesse teilzunehmen.

Statue von Papst Johannes Paul II. vor der Kirche des Heiligen Johannes des Täufers in Tyrnau (Trnava).
Der Papst hatte 2003 Pressburg besucht und von dort aus Tyrnau und Neusohl, wo heute Denkmäler an den Besuch erinnern. An der heiligen Messe in Petrzalka, einer Satellitenstadt von Preburg, das unmittelbar an der österreichischen Grenze liegt, nahmen auch viele Österreicher mit Kardinal Schönborn an der Spitze teil. Nach der Heiligsprechung 1995 in Kaschau hat Johannes Paul II. bei diesem Besuch zwei weitere Seligsprechungen vorgenommen: Er erhob den unierten Bischof Vasil Hopko und die Kreuzschwester Cäcilia Scheling (Zdenka Schelingova) zur Ehre der Altäre. Schwester Zdenka war von den Kommunisten inhaftiert worden und starb 1955 an den Folgen der erlittenen Folterungen. Bischof Hopko wurde als Weihbischof der griechisch-katholischen Diözese Preschau 1950 inhaftiert und konnte nach seiner Freilassung seelsorgerlich nur im Untergrund tätig sein. Er erlebte die Wiederzulassung der unierten Kirche und starb 1974.

 

Wie 2003 in Kroatien kam der Papst in ein Land, das ihn freudig erwartete. Wer die Slowakei kennt, kann über volle Kirchen berichten, über junge Ordensleute und große Wallfahrten. Solche gibt es von nationaler Bedeutung nach Leutschau (Levoča) und Maria Schoßberg (Saštin), aber auch in allen Regionen des Landes. Auch das Ziel der Reise war Programm: Wenn der polnische Papst die kleinen Länder des Ostens besuchte, wollte er damit auch die Kirche der EU nach der Osterweiterung stärken.

 

Prof. Dr. Rudolf Grulich

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