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Kirchenhistoriker Rudolf Grulich über den lettischen Wallfahrtsort Aglona

Kirchenhistoriker Rudolf Grulich über den lettischen Wallfahrtsort Aglona

"Das Herz des lettischen Katholizismus"

20.09.2018 aktuelles
Lettland gilt bis heute als ein überwiegend evangelisches Land. Protestantisch waren seit der Reformation die Baltendeutschen und die einheimischen Letten und Liven. Doch neben Hunderttausenden von zugewanderten orthodoxen Russen gibt es in Lettland auch 400 000 Katholiken.
Erzbistum und Sitz einer Kirchenprovinz ist die Hauptstadt Riga, wo dem Erzbischof und Kardinal die Suffraganbistümer Liebau (Liepaja), Mitau (Jelgava) und Rositten-Aglona (Rezekne-Aglona) unterstehen. Die vier Diözesen entsprechen den historischen Provinzen Lettlands.
Den Doppelnamen Aglona-Rositten verdankt die Diözese dem marianischen Zentrum des Landes Aglona in Latgalien. Hier liegt unweit von Dünaburg (Daugavpils) der Wallfahrtsort Aglona, dessen Wallfahrtskirche Konkathedrale der jungen Diözese Rositten-Aglona ist.

Die Wallfahrt in Aglona gilt einem Gnadenbild, das seit dem Jahr 1400 hier verehrt wird. Die Kirche ist ein Barockbau des 18. Jahrhunderts, der die russische Okkupation nach 1795 ebenso überlebt hat wie die Besetzung Lettlands 1945. Nur hier im Osten Lettlands bilden die lettischen Katholiken zusammen mit der polnischen Minderheit eine Mehrheit.
Blick von der Willibaldsburg auf Eichstätt. Hier lebte Bischof Boleslaus Sloskans für einige Zeit.
Blick auf die Wallfahrtskirche in Aglona.
Zbignevs Stankevics, Erzbischof von Riga.
Gnadenbild wird seit 1400 verehrt

Ende des 19. Jahrhunderts setzte ein nationales Erwachen ein, nachdem in Latgalien die Russifizierungspolitik heftiger war als in den baltischen Provinzen. Latgalien gehörte zum Gouvernement Witebsk. Die Russifizierung nach der Aufhebung der Leibeigenschaft ging Hand in Hand mit einem Sprach- und Druckverbot des Latgalischen bis 1904, während das Lettische von diesem Verbot nicht betroffen war (wohl aber das Litauische).

Am 18. November 1918 wurde die Republik Lettland gegründet, in der Latgalien den dritten Stern über dem Staatswappen bildete. In der harten Zeit der sowjetischen Okkupation (ab 1949) stand die katholische Kirche zum Latgalentum. Kardinal Julijans Vajvods ließ als Bischof von Riga nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neben dem Lettischen auch das Latgalische als Kirchen- und Liturgiesprache zu.

Kardinal Vajvods, der als über 90-jähriger Bischof noch das Ende des Kommunismus erlebte, wollte in Aglona begraben sein, ebenso der Bischof Boleslaus Sloskans, der im Exil 1981 in Belgien starb und ein enger Freund von Pater Werenfried van Straaten war.

1986, als Lettland noch unter sowjetischer Herrschaft stand, konnten nur die Letten im Exil den 800. Jahrestag des Beginns ihrer Christianisierung feiern. Sie taten dies in Rom mit Papst Johannes Paul II., der damals die Hoffnung aussprach, bald Lettland und das Marienheiligtum in Aglona zu besuchen. Erst 1993 war ihm dies möglich.

Wallfahrt am Tag vor Mariä Himmelfahrt

Im Jahre 1186 hatte Erzbischof Hartwig II. von Bremen den Augustiner-Chorherren Meinhard aus Bad Segeberg in Holstein zum Bischof der Liven geweiht. Ihm waren nach seiner Bischofsweihe noch zehn Jahre der Wirksamkeit vergönnt, ehe er am 14. August 1196 starb. Sein Fest wird an seinem Todestag begangen, also einen Tag vor dem Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, dem Tag der traditionellen Wallfahrt in Aglona.

Obwohl sich in der Reformation der größte Teil des heutigen Lettlands von der Katholischen Kirche trennte, ist Lettland immer ein marianisches Land geblieben. Das Gnadenbild der Schmerzhaften Muttergottes in Riga blieb erhalten.

Zahlreich sind die Mariengedichte und Lieder lettischer evangelischer Dichter. Das gilt noch mehr von dem Teil Lettlands, der unter polnischer Herrschaft katholisch blieb und erst bei den polnischen Teilungen an Russland kam: Latgalien mit seinem Hauptheiligtum Aglona im Osten Lettlands.

Kirche im Jahr 1780 fertiggestellt

Das 1699 gegründete Dominikanerkloster Aglona beherbergt in der 1780 gebauten Kirche ein Gnadenbild, das eine Nachbildung der Muttergottes von Trakai in Litauen ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg, als Lettland wie Litauen und Estland unabhängige Staaten waren, besuchten jährlich bis zu 200 000 Pilger diesen Gnadenort.

Nach der Besetzung durch die Russen wurde 1940/41 auch hier das Kloster samt der wertvollen Klosterbibliothek völlig zerstört. Die Kirche mit dem Gnadenbild jedoch ist erhalten geblieben und wurde trotz der bolschewistischen Okkupation weiter von zahlreichen Pilgern besucht.

Heute ist Aglona das Herz des Katholizismus in Lettland, wo auch der polnische Papst bei seinem Besuch zur Muttergottes betete und wohin auch viele Polen, Litauer und Weißrussen wallfahren. Diesem Geist der Völker-Versöhnung hatte auch Bischof Boleslaus Sloskans sein Leben geweiht.

Nachdem er 1981 im belgischen Exil, starb, hat die Kirche Lettlands nach der Wende den Seligsprechungsprozess für ihn eingeleitet. Boleslaus Sloskans wurde am 31. August 1893 im damals vom Zaren beherrschten Lettland geboren und ist dort aufgewachsen. Als 18-jähriger trat er 1911 in das Priesterseminar von Sankt Petersburg ein, wo er am 21. Januar 1917 von Erzbischof Johann Cieplaks zum Priester geweiht wurde.

Das Lenin-Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau.
Darstellung der Himmelfahrt Mariens auf einer Ikone.
Seligsprechungsprozess für Bischof Sloskans

In dieser Zeit der Verfolgung schickte Papst Pius XI. den Jesuiten Michel d’Herbigny nach Moskau. Pater d’Herbigny verhandelte offiziell wegen Hilfsmaßnahmen für die notleidende Bevölkerung, hauptsächlich für die hungernden Kinder, er hatte aber auch von Nuntius Eugenio Pacelli in Berlin die Bischofsweihe erhalten und hatte Vollmacht und Auftrag des Papstes, Bischöfe für die Kirche in Russland geheim zu weihen.

Hinter den verschlossenen Türen der St. Ludwigskirche in Moskau legte er am 10. Mai 1926 dem jungen Priester Boleslaus Sloskans die Hände zur Bischofsweihe auf und ernannte ihn zum Apostolischen Visitator für Mohilev und Minsk.

Der geheim Geweihte kehrte in seine nun Leningrad genannte Pfarrei zurück, wo er als einfacher Priester lebte, aber seine Diözese zu bereisen versuchte, um heimlich zu firmen. Schon nach einem Jahr wurde Sloskans am 11. Mai 1927 verhaftet. Sechs Jahre lang wurde er gefoltert und gequält, darunter auch auf der berüchtigten KZ-Insel Solowki im Weißen Meer.

Um des Glaubens willen gelitten

Pater Werenfried schrieb über dieses Schicksal: „In 17 Sowjetgefängnissen hat er um des Glaubens willen gelitten. In dem Moskauer Lubjanka-Gefängnis wurde er, nackt auf einen Tisch gebunden, bis aufs Blut gegeißelt. Er wurde aufrecht stehend in einen schmalen Käfig gepresst, worin ihm keine einzige Bewegung möglich war und Tag und Nacht eiskaltes Wasser auf seinen Kopf tropfte.

Wochenlang lag er unter dem blendenden Licht eines Scheinwerfers platt auf dem Rücken an den Boden gekettet. Drei Monate wartete er in der stockfinsteren Todeszelle auf seine Hinrichtung. Seine einzige Nahrung war eine faule Suppe, und die Zeit konnte er nur an den Schritten der Gefangenen abschätzen, die aus den Nachbarzellen zum Erschießen abgeführt wurden.

Blick auf die Altstadt von Riga mit Dom und dem Fluss Düna.
An den Boden gekettet

Trotz all dieser Marterung blieb sein Geist ungebrochen. Ohne Nachlassen meditierte er betend den Kreuzweg und die Mysterien des Rosenkranzes. Als ein Wärter sein Lächeln sah und erstaunt ausrief: ‚Du bist glücklich?!’ antwortete der Bischof: ‚Ja, denn ich bin völlig frei, während Sie es nicht sind’.“

Etwas weiter heißt es: „Im Jahre 1933 erwirkte die Regierung von Lettland im Tausch gegen einen russischen Spion seine Freilassung. Der Bischof weigerte sich, die Sowjetunion zu verlassen, weil er sich dazu verpflichtet fühlte, als Hirte bei seiner Herde zu bleiben.

Als ein kirchlicher Diplomat ihm wahrheitswidrig mitteilte, der Papst habe ihn nach Rom gerufen, gehorchte er mit blutendem Herzen. In Rom musste er erleben, dass Papst Paul Pius XI. die Erklärung seines Nuntius Lügen strafte und den Grundsatz bestätigte, dass ein Bischof bei seiner Herde zu bleiben hat.

Als viele Jahre später diesem Prinzip von neuem zuwider gehandelt wurde, hat mir Bischof Sloskans sein Geheimnis anvertraut mit der Erlaubnis, es nach seinem Tode bekannt zu geben. Das tue ich jetzt aus Liebe zur Kirche, in der die Diplomaten keine führende, sondern eine untergeordnete Rolle spielen müssen.“

Bischof Sloskans lebte einige Zeit in Eichstätt

Von Rom kehrte Sloskans nach Lettland zurück, wo er an der Theologischen Fakultät in Riga Moral und Aszetik lehrte. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges brachten ihn die Nationalsozialisten nach Deutschland. Einige Zeit verbrachte er in Eichstätt (Bayern).

1947 ging er nach Belgien, wo er bei Brüssel ein Seminar für lettische Priester gründete. Im Jahre 1952 ernannte ihn Pius XII. zum Apostolischen Visitator für die Russen und Weißrussen, 1955 auch zum Moderator für Letten und Esten im Exil.

In dieser Zeit bis 1979 wohnte Sloskans in der Abtei Keyserberg in Löwen. Er nahm regelmäßig an den Internationalen Kongressen „Kirche in Not“ in Königstein teil, wo ihm der Leiter der Königsteiner Anstalten, Prälat (und seit 1966 Weihbischof) Kindermann die Eröffnung des Kongresses anvertraute, weil er ihn als lebendes Symbol der verfolgten Kirche betrachtete.

Sowjets ermordeten seine ganze Familie

Bis zu seinem Tode 1981 blieb Bischof Sloskans ein Mann der Innerlichkeit und des Gebetes. Er war der letzte Zeuge der frühen Vatikanischen Ostpolitik der 1920er-Jahre. Die Sowjets ermordeten seine ganze Familie. Kein Leid konnte ihn verbittern.

Pater Werenfried konnte es noch erleben, dass die Sowjetunion 1991 zerfiel, Lettland wieder seine Freiheit erhielt, dass der tote Bischof in seine Heimat zurückkehren und in der Krypta der Basilika von Aglona ruhen konnte.

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