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Südsudan: „Die Regierung muss ihre Haltung gegenüber dem Volk verändern“

Südsudan: „Die Regierung muss ihre Haltung gegenüber dem Volk verändern“

Interview mit dem Erzbischof aus der Hauptstadt Dschuba

01.12.2021 aktuelles
Der Südsudan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Zwei Drittel der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Korruption und Stammesfehden spalten das Land, das einen mühsamen Weg zur Unabhängigkeit hinter sich hat: Erst 2011 trennte sich der mehrheitlich christlich geprägte Süden vom muslimischen Norden.

 

Über den Einfluss der Kirche auf die politische wie gesellschaftliche Entwicklung, die desaströse Lage und zarte Hoffnungen auf Verbesserungen sprach der Erzbischof der südsudanesischen Hauptstadt Dschuba, Stephen Ameyu Martin Mulla, mit KIRCHE IN NOT. Das Interview führte André Stiefenhofer.

Stephen Ameyu Martin Mulla, Erzbischof von Dschuba/Südsudan.
ANDRÉ STIEFENHOFER: Erzbischof Mulla, wie ist das alltägliche Leben für die Menschen im Südsudan derzeit?
ERZBISCHOF STEPHEN AMEYU MARTIN MULLA:
Der Südsudan ist eines der jüngsten Länder der Welt, aber es ist auch eines der ärmsten. Hinter uns liegen Jahrzehnte des Bürgerkriegs. Es gibt nur wenige gute Straßen, es fehlt an allem. Von morgens bis abends suchen die Menschen nach Lebensmitteln und Trinkwasser. In diesem Jahr herrschte noch dazu eine große Dürre. Nach wie vor ringen wir auch mit den Folgen von lokalen Auseinandersetzungen. Wir appellieren an unsere Brüder und Schwestern weltweit, uns in dieser Zeit der Not zu Hilfe zu kommen.

 

Wie sieht das kirchliche Leben unter diesen schwierigen Bedingungen aus?
Die christliche Bevölkerung leidet enorm. Auch unsere Priester haben viel zu leiden. In manchen Pfarreien gibt es nur Strohhütten, keinen Strom, kein Wasser. Wo es keine Kirche gibt, beten die Menschen im Schatten der Bäume. Aber die Menschen kommen in großer Zahl, der Glaube ist stark.

Eine Mutter mit ihren Kindern im Südsudan erhält Lebensmittelhilfen.
Offensichtlich ist der Staat nicht in der Lage, für die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen zu sorgen. Kann die Kirche hier helfen?
Die Kirche ist ein Zeichen des Friedens und der Hoffnung für die Menschen im Südsudan. Sie war und ist führend im Erziehungs- und Gesundheitsbereich. Wir tun unser Bestes, damit die Menschen Lebensmittel und Trinkwasser bekommen. Wir versuchen, die Menschen zu ermutigen, dass sie Landwirtschaft betreiben, damit sie sich versorgen können. Wir bringen den Leuten bei, selbstbewusst zu werden und für ihre Rechte einzustehen.

 

„Kirche ist Zeichen des Friedens und der Hoffnung”

Der Südsudan ist reich an Bodenschätzen. Aber die Einzigen, die den Profit aus diesen Bodenschätzen einstreichen, sind die Eliten. Sie stehen in Kontakt mit den Eliten, und Sie haben auch mit dem Präsidenten Ihres Landes gesprochen. Ist er in einen Dialog mit Ihnen getreten?
Reichtum erweist sich manchmal auch als Fluch. Im Südsudan wird Erdöl gefördert, aber die Einnahmen kommen nicht bei den Menschen an. Es gibt einen Dialog zwischen den Bischöfen und dem Präsidenten und anderen Autoritäten. Wir hoffen, dass wir durch diesen Dialog einen Mentalitätswandel bewirken können. Mittlerweile hat die Regierung begonnen, neue Straßen und neue Krankenhäuser zu bauen – ich denke, das ist eine Frucht unseres Dialogs.

Jugendliche in einer katholischen Schule in El Obeid/Sudan.
Die Anführer im Südsudan hatten als Kriegsherren begonnen. Jetzt müssen sie zivile Anführer sein. Nehmen sie diese Verantwortung ernst?
Die Verantwortlichen sehen langsam, dass es nicht gut für sie wäre, wenn sie sich weiterhin unverantwortlich verhalten. Als Kirche können wir ihren Blick für diese Verantwortung schärfen. Präsident Salva Kiir Mayardit hat uns gesagt, dass er nicht zum Krieg zurückkehren wird. Ich hoffe, er hat die Wahrheit gesagt.

 

 

Nach vielen Jahren des Bürgerkriegs ist der Südsudan ein gespaltenes Land. Was tut die Kirche, um die Menschen zu versöhnen?
In jeder Diözese haben wir eigene Abteilungen für Gerechtigkeit und Frieden eingerichtet. Wir versuchen, die Menschen zur Einheit und zur Zusammenarbeit zu erziehen. Unser Problem besteht im Stammesdenken, dem Tribalismus, der unser Lebensgefüge zerstört hat. Wir arbeiten hart, um durch Versöhnung und Dialog einen Wandel in unserem Volk herbeizuführen, damit die Menschen verstehen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind.

Lebendiger Glaube: Kinder aus Südsudan haben bei der KIRCH-IN-NOT-Aktion „Eine Million Kinder beten den Rosenkranz“ mitgemacht.
Die Kirche im Südsudan hilft bei der Umsetzung des Friedens, sie hilft im Bildungsbereich. In vielen afrikanischen Ländern sehen wir, dass die Menschen ausgebildet sind, wenn sie dann aber aus Schule kommen, gibt es keine Arbeit für sie. Wie ist die Situation bei Ihnen?
Genaugenommen ist im Südsudan das Gegenteil der Fall. Während der Kriegsjahre hat die Kirche nie mit ihrer Bildungsarbeit aufgehört. Viele der Menschen, die damals in unsere Schulen gegangen sind, arbeiten heute bei der Regierung oder anderen öffentlichen Stellen. Ohne den Einsatz der Kirche hätte niemand eine Ausbildung erhalten, und das würde uns schwer zurückwerfen.

 

In einem Land, das so sehr durch einen Bürgerkrieg gespalten wurde, ist es ein Hoffnungszeichen, dass zumindest die Bischöfe in Sudan und Südsudan nie getrennt waren. Wie ist die Situation derzeit?
Die Bischöfe des Nordens und des Südens sind eins. Diese Einheit hilft uns, unsere Köpfe und unsere Ideen zusammenzubringen, um die brennenden Aufgaben im Sudan und im Südsudan zu lösen. Wir versuchen, Druck auf unsere Regierungen auszuüben. Sie müssen ihre Haltung gegenüber dem Volk verändern.

Kreuzesdarstellung in Südan.
Wie kann der Westen den Menschen im Südsudan jetzt am besten helfen?
Ich möchte sehr appellieren, uns im Bildungsbereich weiter zu unterstützen. Bildung ist das Wichtigste. Aktuell herrscht auch eine große Hungersnot. Schon wenig finanzielle Unterstützung hilft sehr viel, zum Beispiel, um Häuser in unseren Pfarreien zu errichten. Ich danke KIRCHE IN NOT, dass Sie uns eine Plattform geben, um unsere Nöte und Sorgen auszusprechen. Ich danke allen Wohltätern für Ihre Hilfe.
Unterstützen Sie die notleidenden Menschen im Südsudan und den Einsatz der Kirche für Bildung und Versöhnung. Spenden Sie entweder online oder auf folgendes Konto:

Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München

IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05

Verwendungszweck: Südsudan

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